Theologisch ist Apokalyptik etwas anderes als Weltuntergang und Endzeitrhetorik:
Menschen deuten das Leben und Gott so, dass wir auch angesichts schlimmster
Entwicklungen der Welt darauf setzen dürfen, dass Gott als Schöpfer der Welt auch ihr
Retter ist und bleibt, und wir darum getröstet und ermutigt werden, auch durch die
aktuellen Krisen hindurch – und nicht an ihnen vorbei! – mutig und handlungsfähig zu
bleiben.
„Apokalypse“ muss also am besten im ursprünglichen Sinn als „Aufdecken“ (eines Bettes,
eines Kleidungsstückes z.B.), also als Wahrnehmen und Entdecken verstanden werden:
als Entdecken der Lage von Mensch und Schöpfung, der Rolle des Menschen mit seiner
Verantwortung und der Hoffnung auf Gott. Mit solcher Ehrlichkeit verbindet sich dabei
auch die Hoffnung, dass Gott die Welt in den kommenden Problemen nicht aufgeben wird.
Aber dazu braucht es den Ernst, sich der Lage zu stellen.
„Apokalyptik als eine Form der Gegenutopie thematisiert Hoffnung und Angst zugleich.1 “
Die geoffenbarte Zukunft wird somit auf die Gegenwart als Entscheidungssituation
bezogen.“2 Die apokalyptische Literatur will vor allem eine neue Perspektive auf die Welt
erschließen.“3
Mit der doppelten Ausrichtung des ehrlichen Blicks auf die Probleme der Zukunft und der
Hoffnung darüber hinaus können Kräfte mobilisiert werden, die zunächst helfen können,
Ängste zu artikulieren. Diese kommen dann aus dem Diffusen heraus, wo sie allzuoft im
Nebel von Verdrängung oder Leugnung der Probleme bleiben. Die Situation kann dann
aber auch klar wahrgenommen werden als eine, in der die Ängste nicht alles bestimmen
und lähmen, die nicht zum Verzweifeln bringt, sondern die die Hoffnung als Gegenkraft
ergreift.
Diese theologische Denkfigur kann auch das Zeug dazu haben, auch in Diskursen, die
nicht im religiösen Kontext stattfinden, zu überzeugen und neue Türen zu öffnen. Die
Verbindung von Ernsthaftigkeit und Hoffnung, die Thematisierung von Hoffnung und Angst
zugleich könnte neue Diskurse und mutige Entscheidungen ermöglichen. Unser
Kunstprojekt will auch dafür eine Plattform bieten. Der Ernst der Wahrheit über die
Situation könnte die Kraft der Hoffnung stärken – auch unabhängig davon, ob dies religiös
begründet wird. So wäre auch die politische und gesellschaftliche Kommunikation zu
bereichern, unabhängig davon, ob und wieweit die Menschen den christlichen Hintergrund
teilen. Die Kirche könnte Sprachhelfer werden und und bessere Sprachfähigkeit
unterstützen zwischen Zögerern, Engagierten, Regierung und Medien.
Die apokalyptische Literatur in und außerhalb der Bibel entstand, als im 4. Jahrhundert
v.Chr. wieder einmal der Verlust politisch zuverlässiger Ordnung beklagt wurde, die
Hoffnung auf Gott aber nicht weggeworfen werden sollte. Gott halte über die Zeit hinaus
die Welt in seiner Hand, war das „apokalyptisch“ genannte Bekenntnis der Hoffnung. Die
apokalyptischen Texte (dazu gehört auch die Offenbarung des Johannes am Ende des
Neuen Testaments) benutzen für ihre Botschaft häufig Stilmittel wie Geheimwissen, das
durch besondere Mittler zugänglich gemacht werden muss, oder zwei Welten, von denen
eine geheim oder im Himmel ist, oder den Dualismus von gut und böse sowie eine reiche
Bilder- und Symbolwelt. Diese Stilmittel machen zum einen den Zugang zu
apokalyptischer Literatur schwieriger, es hat aber zudem auch immer wieder vor allem
fundamentalistische Gruppen angezogen, die den Text zu sehr als
Wirklichkeitsbeschreibung der jeweils eigenen Zeit betrachten. Die Stilmittel sind jedoch
nicht entscheidend für die oben erläuterte Zielrichtung der Texte.
Biblische Texte beschreiben keine (zukünftigen) politischen Verhältnisse, sondern wollen
helfen, dass wir uns im Leben besser orientieren können.
Es lohnt sich also, dass wir uns anregen lassen, in differenzierter Weise „apokalyptisch“
unser Leben und unsere Welt zu betrachten. Dazu will unser Kunstprojekt einladen. Der
Ernst der Verantwortung, Ehrlichkeit und Hoffnung können dabei sicher immer wieder
aufleuchten.
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1 Ulrich H.J.Körtner, Enthüllung der Wirklichkeit. Hermeneutik und Kritik apokalyptischen
Daseinsverständnisses aus systematisch-theologischer Sicht, in: Michael Becker/Markus Öhler
(Hg.), Apokalyptik als Herausforderung neutestamentlicher Theologie, WUTh 2.Reihe, Tübingen
2006, 373
2 ebd. 45
3 Michael Tilly, Apokalyptik, Tübingen 2012, 17